Kathrin Passig

Jim Avignon, Pate des Erdferkels (Vorwort zu "Trouble With the Aardvark")

"Das Erdferkel ist nicht so ein aufgeregtes Tier."
Jim Avignon

Ein Fehler wäre es, den Leser dieses Textes erst im letzten Absatz mit der Information zu überrumpeln, dass Jim Avignon Pate des Erdferkels im Zoologischen Garten zu Berlin ist. Es wäre ein Überrumpelungseffekt, wie er zuletzt von den USA beim Einmarsch im Irak erzeugt wurde, der Leser würde sich zu Recht unterrumpelt fühlen, deshalb sei es gleich hier verraten: Jim Avignon ist Pate des Erdferkels im Zoologischen Garten zu Berlin. Sein Patenferkel lebt im Nachttierhaus, wo man für nachtaktive Tiere wie die Fledermäuse, Siebenschläfer und Aye-Ayes den Tag zur Nacht macht, damit die Besucher sie bei ihren wichtigen Herumwuselungstätigkeiten beobachten können. Dort liegt das Erdferkel in seiner unterirdischen Wohnhöhle in einer Körperhaltung herum, wie sie übergewichtige Personen auf dem Sofa vor dem Fernseher einnehmen, nur ohne Sofa und ohne Fernseher. Sein behaarter rosa Bauch hebt und senkt sich. Mehr gibt es nicht zu sehen. Vielleicht bräuchte man für das Erdferkel ein Spezialhaus für auch nachts nicht aktive Tiere.

Diese Beschreibung beruht nicht auf dem Augenschein, sondern auf einem lange zurückliegenden Besuch im Frankfurter Grzimekhaus, wo man ebenfalls über ein Erdferkel verfügt. Wissenschaftlich korrekt wäre es gewesen, das Berliner Erdferkel aufzusuchen und gründlich zu betrachten, aber das war wegen der Öffnungszeiten des Berliner Zoos nicht möglich. So lange Berlin keine Zoofiliale für nachtaktive Besucher eröffnet - in dessen Nachtaktivenhaus man dann gar keine künstliche Nacht zu erzeugen bräuchte, Stromspargesichtspunkt! -, werden wir nichts über das Berliner Erdferkel herausfinden. Aus der auch nachts geöffneten Wikipedia ist zu erfahren, dass das Erdferkel spärlich mit Haar bedeckt ist, bis zu 1,65 lang wird, seinen Bau selten vor 22 Uhr verlässt und lange vor Morgengrauen zurückkehrt.

Was mag in der Zwischenzeit geschehen? Vermutlich schreitet das Erdferkel gelassen ein wenig herum, steckt seine lange Schnauze in alles Mögliche und bewegt die beweglichen Ohren. In der Dunkelheit verzehrt es Termiten und Erdferkelgurken, wobei die Erdferkelgurke unter den Gemüsen eine nicht weniger seltsame Position einnimmt als das Erdferkel unter den Tieren. Wie das Erdferkel selbst wächst sie unterirdisch und kann sich nur fortpflanzen, weil sie vom Erdferkel gefunden, ausgegraben, gegessen, verdaut und verscharrt wird. Wie das Erdferkel die Erdferkelgurke ausfindig macht und ob es das wenig nahrhafte Gemüse nur so zum Spaß oder aus reiner Hilfsbereitschaft verzehrt, ist unbekannt. Danach kehrt es zurück in seinen Bau und legt sich wieder hin.

Unbekannt ist auch, was für eine Art Tier das Erdferkel überhaupt darstellt. Lange galt es als letzter überlebender Vertreter der Urhuftiere, und erst mit Hilfe von DNA-Untersuchungen fand man heraus, dass es aus gutem Grund keinem anderen lebenden Säugetier gleicht. Weil es mit keinem anderen lebenden Säugetier näher verwandt ist, hat es jedes Recht, alles ganz anders zu machen als die anderen Tiere. Die Ägypter beteten das Erdferkel deshalb an, "nach Meinung einer Minderheit unter den Ägyptologen" jedenfalls. Die Mehrheit der Ägyptologen hält den Kopf der Seth-Bildnisse für den eines Esels und nicht eines Erdferkels.

Hier schließt sich der Bogen, denn Jim Avignon ist der Wissenschaft kaum weniger rätselhaft als das Erdferkel. Die gesicherten Erkenntnisse gehen kaum über die Beobachtung hinaus, dass er bis zu 1,65 Meter lang wird, spärlich mit Haar bedeckt ist und seinen Bau nicht vor 22 Uhr verlässt. Zwar hat ihn noch niemand Erdferkelgurken ausgraben oder verzehren sehen, und vor dem Morgengrauen kommt er auch selten nach Hause, aber die Beziehung zwischen Mensch und Patentier ist nicht so eindimensional, wie viele denken. Wenn wir mehr über Jim Avignon herausfinden wollen, ohne eine Glasscheibe quer durch seine Wohnhöhle zu ziehen, müssen wir die Spuren analysieren, die er hinterlässt - zum Beispiel in diesem Buch. Anders als alle anderen Tiere malt er seine für Galerien bestimmten Bilder während der Zugfahrt zur Vernissage, der Käufer dieses Buchs darf also davon ausgehen, dass Jim Avignon gerade im Hinterzimmer der Buchhandlung sitzt und ohne Eile leere Bücher ausmalt. Das Buch enthält danach voraussichtlich Bilder mit den Titeln "Always Trouble With the Überich", "Das Lügengebäude" und "The Animal Hypnotist". Wenn wir sie aufmerksam studieren, gelingt es uns vielleicht, ein wenig vom Wesen Jim Avignons - einer Art Volksausgabe der Buddha-Natur - aus ihnen herauszulesen wie Forscher, die den Spuren des Erdferkels bei Tageslicht folgen. Wenn nicht, bleibt immer noch die Anbetung.