Kathrin Passig

Kontrast und Verbrechen (erschienen im CI-Magazin, irgendwann 2009)

Dieser Text scheint mir in weiten Teilen gar nicht von mir, sondern von Sascha Lobo zu stammen. Vermutlich habe ich dafür irgendwas geschrieben, unter dem Saschas Name stand.

Designer haben es nicht leicht im Leben. Alles, was man mit Design versehen kann, ist bereits mit Design versehen worden. Speziell die Gebiete Wasserhähne, Uhren, Bücherregale, Lampen, Sitzmöbel, Fahrräder, Geschirr, Schriftarten und Besteck sind von Design so befallen wie eine Pflanze, die man vor lauter Blattläusen schon gar nicht mehr sehen kann. Deshalb sitzen die Designer ab acht Uhr morgens an ihren Eiermann-Schreibtischen, trinken einen Kaffee nach dem anderen aus einer Tasse, deren Henkel unten am Boden angebracht ist, und versuchen, sich etwas Neues auszudenken. Oder doch jedenfalls etwas, das sich weniger als hundert andere vor ihnen ausgedacht haben. Am Spätnachmittag, wenn ihnen vom vielen Nachdenken die Stirn blutet, rufen sie schließlich: "Fuck it! Mach ich eben was mit Kontrasten!"

Dann erfinden sie Porzellan mit Goldrand im Einweg-Alugeschirr-Design (Lorena Barrezueta), Glasflaschen im Plastikflaschendesign, Gläser im Plastikbecherdesign und Eieraufbewahrungsgefäße aus Porzellan, die wie Eierkartons aussehen (Seletti), Barockmöbel und Hirschköpfe aus Plexiglas (Diverse), Porzellanvasen in Milchkartonform (Jatta Lavi), Keramikbecher in Form britischer Pint-Biergläser (Tim Parsons), Pommesschälchen aus Porzellan, Pommesgabeln aus Gold (Diverse), vergoldete Heftklammern und USB-Sticks aus Holz (OOOMS), Tischlerböcke mit goldenen Scharnieren (Philip Wood), vergoldete Kugelschreiberkappen, vergoldete Mc-Donalds-Löffel und Hüpfbälle voller Diamanten (Tobias Wong), Bohrmaschinen und Hämmer mit Blümchenmuster (Michigan Industrial Tools), Europaletten aus poliertem Nussbaumholz (Andrea Mehlhose / Martin Wellner) und Marmortische in Europalettenform (Jakub Berdych). Wenn man alle Genannten in einen Sack aus Reinleinendamast steckte und mit einem blattvergoldeten Tropenholzknüppel daraufschlüge, man träfe keinen Falschen.

Der Kontrast zwischen teurem Material und billigem Gegenstand führt dabei mit weitem Abstand die Charts der gar nicht so originellen Kontrastideen an. Dabei gäbe es noch so viele weniger abgenutzte Kontraste auszubeuten, zum Beispiel den zwischen Form und Funktion. Tische in Stuhlform! Bücherregale in Bettform und Betten in Bücherregalform! Oder den Kontrast zwischen teurem Material und niedrigem Preis: Goldbarren aus Gold zum Preis von Heftklammern oder 500-karätige Diamanten zu Hüpfballpreisen! Auch der Kontrast zwischen Größe und Funktion ist bisher noch kaum designerisch fruchtbar gemacht worden, dabei wären Klammerhefter im Format von Einfamilienhäusern ein Dauerbrenner in den Souvenirshops der Designmuseen.

Der Kontrast, so lässt sich leicht erkennen, ist gar kein Designkriterium, sondern ein Ideenersatzmittel. Wie bei einem Fernseher kann man den Kontrastregler bei allen möglichen Produkten hochziehen und erschafft so im besten Fall etwas kurzzeitig Überraschendes, aber Substanzloses. Kontraste sind die narzisstisch gestörten Persönlichkeiten unter den nebeneinandergestellten Dingen: verkrampft in einer nicht zu lösenden Aufmerksamkeitssymbiose müssen beide andauernd aufeinander zeigen und sagen "knallt". Adolf Loos hat zu Anfang des 20. Jahrhunderts in seiner Streitschrift "Ornament und Verbrechen" darauf hingewiesen, dass die schiere Dekoration von der eigentlichen Weiterentwicklung der Architektur ablenkt. Hundert Jahre später scheint die Zeit gekommen für "Kontrast und Verbrechen". Der Kontrast im modernen Design hemmt die Weiterentwicklung, weil er zur Dekoration oder zur Farce gerinnt: l'art pour l'art, nur ohne art.

Schlimmer noch: den meisten durchkonstrastierten Designerstücken sieht man an, dass sie allein nach den Gesetzen der Aufmerksamkeitsmaximierung geschaffen sind. Dem Designer ist egal, ob und wie er die Welt verbessert, und sei es nur in einem kleinen Detail - stattdessen will er in die Design-Blogs und -Zeitschriften. Kontrastdesigner sind Marketingdesigner in eigener Sache; deshalb ist für sie auch irrelevant, ob sie eine Schubkarre oder einen Topflappen gestalten. Hauptsache, es lässt sich mit billigen Kniffen ein PR-Effekt erzielen. Dabei ist Werbung gar nicht grundsätzlich schlecht - wenn sie wenigstens zugibt, nur Werbung zu sein. Wenn man aber ein Ding als sein Designwerk präsentiert, bei dem es sich in Wahrheit um ein trojanisches Werbepferd handelt, dann darf man sich nicht wundern, dass sich irgendwann nach dem dritten aus Filz gehäkelten Kerzenständer die aufgeklärte Öffentlichkeit abwendet: Sie spürt die Absicht und ist verstimmt.

Eine Kastration des Kontrasts (eventuell durch eine empfindliche Sondersteuer) wird nicht einfach. Sie wird Edelaccessoireboutiquen in den Bankrott treiben, reisende Studienräte werden bei der Suche nach verkrampft originellen Geschenken für die eigentlich verhassten Nachbarn verzweifeln, Art Directoren werden tränennah vor ihren schwarzen Glanzlackregalen stehen und nicht wissen, was sie zwischen die mühsam programmierten digitalen Bilderrahmen stellen sollen. Aber das wäre es wert, denn vielleicht findet ein Teil der aufmerksamkeitsgetriebenen Kontrastdesigner wieder zurück zu dem, was vermutlich den Ursprung aller Gestaltung ausmacht: der Kulturtechnik des Nachdenkens über die Welt und ihre Verbesserung. Ganz ohne Tischdecken aus Edelstahl.