Kathrin Passig

 

Dieser Text hat keinen Titel und ist nie auf Papier erschienen. Soweit ich mich erinnere, hatte die Frankfurter Rundschau Sascha Lobo im Mai 2009 damit beauftragt, der sich nicht dazu aufraffen konnte, ihn zu schreiben, woraufhin wir unsere Arbeitsstörungen zusammenwarfen und an einem Nachmittag drei Texte gleichzeitig gemeinsam verfassten, von denen die zwei anderen auch tatsächlich veröffentlicht wurden. Diesen hier vergaß Sascha einzusenden oder so.

Umberto Eco ist durch ein Buch reich und berühmt geworden, in dem die Brennbarkeit von Bibliotheken eine zentrale Rolle spielt. Da lag es nahe, dass man ihn im Februar den Lesern der italienischen Zeitung L'Espresso erklären ließ, warum Papier für immer das beste aller Speichermedien bleiben wird. Diese Parodie auf das gegenwärtig recht beliebte Genre der Digitalisierungsverdammungstexte war am 30. April in deutscher Übersetzung auch in der Frankfurter Rundschau zu lesen. Es standen lustige Argumente darin, zum Beispiel, dass es unmöglich sei, alle existierenden Bücher einzuscannen, oder auch, dass Bücher einen Sturz aus dem fünften Stock unbeschadet überstehen, Computer aber eher nicht.

Aber mal im Ernst. Die Haltbarkeit von Gegenständen ist eine wichtige Eigenschaft, manchmal - etwa bei Pyramiden, Urmetern oder Erbswurst - sogar ihre wichtigste. Bücher aber gehören nicht zu dieser Kategorie, was man unschwer daran erkennt, dass sie sonst gravierte Steintafeln wären und man sich zweimal überlegen müsste, ob man in der U-Bahn mehr als eine Seite liest. Ein praktisches, kostengünstiges Darreichungsformat und einfache Zugänglichkeit sind das, was die meisten Menschen an Informations-Trägermedien schätzen. Die von Umberto Eco gelobten 500 Jahre alten Veröffentlichungen auf Hadernpapier mögen in vorbildlichem Erhaltungszustand sein - wenn man sich vor der Lektüre erst durch das Sonderlesesaalregularium einer fast jeden zweiten Dienstag geöffneten Bibliothek arbeiten muss, müssen alle noch so niedlichen spätgotischen LOLcat-Scherze leider unbetrachtet bleiben.

Die Nachteile des Papiers, also seine Brennbarkeit und die Tatsache, dass es verschiedenen Tieren gut zu schmecken scheint, gleicht man schon seit längerer Zeit dadurch aus, dass man die meisten Bücher - mit Ausnahme von Lyrikbänden und Schlesien-Vertriebenenbiografien - in einer mittelgroßen Stückzahl herstellt. So ist gewährleistet, dass auch bei Archiveinstürzen und Bibliotheksbränden in der Regel noch jemand ein Backup-Exemplar im Regal stehen hat. Und an dieser Stelle kommt eine aufsehenerregende Erkenntnis der letzten Jahre ins Spiel: Für elektronische Speichermedien gilt dasselbe. Es ist praktischerweise sogar deutlich einfacher, elektronische Texte zu vervielfältigen, als aus einem Buch durch Abschreiben oder Buchdruck zwei zu machen.

Hinzu kommt, dass sich die heutige Menge an Informationen nicht mehr ganz so leicht auf Tontäfelchen unterbringen lässt wie das, was die alten Ägypter über die Weizenernte und deren Besteuerung zu sagen hatten. Das CERN speichert seine Daten aus gutem Grund nicht in Buchform. Obwohl sich die vom neuen Large Hadron Collider erzeugten acht Petabyte Daten pro Jahr sicher auch gut im Bücherregal machen würden (einem Regal von der Erde bis zum Mond), erfindet man dort zu jedem Beschleuniger auch gleich eine neue Infrastruktur für die entstehenden Daten; das WWW ist eins der bekannteren Ergebnisse.

Wer darüber klagt, dass elektronische Datenträger gar nicht ewig halten, sondern entmagnetisiert und gelöscht werden oder aus dem Fenster fallen können, hat daher zwar im Prinzip recht, benimmt sich aber wie jemand, der verlangt, Flugzeuge möchten aus Sicherheitsgründen bitte künftig aus Massivbeton hergestellt werden, damit sie im Absturzfall möglichst wenig Schaden nehmen. An der Wand festgeschraubte Fernsprechapparate musste man zwar weder lange suchen, wenn sie klingelten, noch war ihr Akku jemals leer. Dafür konnte man sie aber auch - ältere Leser werden sich erinnern - nicht mitnehmen, wenn man das Haus verließ. So ist es häufig mit dem Fortschritt, ohne dass man ihm deshalb gleich vorwurfsvolle Blicke zuwerfen muss.

Das heißt nicht, dass wir den Kunden der Firma Manufactum ihre Vorliebe für jahrtausendelang haltbare Garderobenhaken madig machen oder Buchbesitzer für ihren Wunsch tadeln wollen, Medien auch mal ungestraft aus dem fünften Stock zu werfen. Es ist schön und beruhigend, sich auf alle Eventualitäten wie die unmittelbar bevorstehende Zombie-Apokalypse gut vorbereitet zu fühlen. Wenn Umberto Eco froh ist, noch Bücher zu besitzen, um so "gewappnet für den Tag zu sein, wenn die elektronischen Geräte uns den Dienst versagen", gibt er sich demselben Vergnügen hin wie jeder Käufer eines Taschenmessers mit 200 nützlichen Schiffsbruch-Survival-Funktionen. Allerdings wartet man mit dem Kauf des auf haltbarem Papier gedruckten "Zombie Survival Guide" von Max Brooks am besten nicht zu lange, denn schon morgen kann der elektronische Ofen aus sein. Wer dann nicht rechtzeitig alles über das Feuermachen mit zwei Stöcken ergoogelt und das Ergebnis ausgedruckt hat, der wird lange frieren.