Kathrin Passig

Warum liegt hier eigentlich die O rum?
Vorwort zu einer Neuauflage der "Geschichte der O"

Dieses Buch hat mir viel Mühe und Arbeit verursacht. Und damit meine ich noch nicht einmal die Arbeit, die man mit Einhandlektüre hatte, bevor es leistungsfähige Vibratoren zu kaufen gab. 1999 haben Ira Strübel und ich ein Buch für BDSM-Einsteiger geschrieben, in der Hoffnung, danach weniger häufig erklären zu müssen, was es eigentlich "mit diesem Sadomaso" auf sich hat. Wie es häufig so geht mit schönen Plänen, hatte das Buch zur Folge, dass danach eher noch mehr Erklärungen fällig wurden. Und gefühlt die Hälfte der Gesamterklärzeit geht aufs Konto der O.

Wenn eine Frau sonst gar nichts über BDSM weiß, hat sie immer noch die "Geschichte der O" gelesen. "Wenn ich den 'Ring der O' trage - darf dann wirklich jeder, der diesen Ring erkennt, mit mir machen, was er will?", fragen die Leserinnen ängstlich und hoffnungsvoll. Dass es sich nicht so verhält, ob man das nun begrüßt oder bedauert, ist nicht immer leicht zu vermitteln. Im Wilden Westen geht es nicht zu wie bei Karl May, in Krankenhäusern nicht wie bei Dr. House und in der BDSM-Subkultur nicht wie in Roissy. Informationen aber sind dann am schwersten in einen Kopf hineinzubekommen, wenn man aus diesem Kopf erst einmal alle möglichen Vorstellungen herausschütteln muss.

Das Buch kann dafür natürlich nichts. Pornographie braucht die Realität nicht abzubilden, sie darf es gar nicht. Eine realistische "Geschichte der O" bestünde zu einem Großteil aus nicht ganz so interessanten Szenen: "Ich möchte mal zügellosen anonymen Sex haben, Schatz." - "Verstehe. Soll ich eine Maske aufsetzen?" - "Nein, mit Wildfremden." - "Ach so, hm, dann mit dem Stefan vielleicht?" - "Nee! Mit dem doch nicht!" - und so weiter.

Schuld ist vielmehr der - Internet hin, Internet her - immer noch nicht ideale Informationsstand in Sachen BDSM. Niemand käme auf die Idee, nach dem Betrachten von Standardpornografie zum Telefon zu greifen und sich zu erkundigen, ob man wohl wirklich einen Klempner ruft beziehungsweise die Sekretärin zum Diktat bittet, wenn man gerade ein dringendes sexuelles Bedürfnis verspürt. Und was der Klempner dafür wohl so berechnet? Und die Beantwortung der Frage, warum hier eigentlich Stroh rumliegt, nimmt vermutlich in den Sexualberatungsstellen wenig Zeit ein.

Aber genug davon, Pornographie ist eben keine Weiterbildungsmaßnahme, und es gibt genug Lobendes über die "Geschichte der O" zu sagen. "Genau!", ruft es aus der Unterhose. "Unerschütterliche, überlegene dominante Männer! Supersache!" - "Hallo?", sagt der Kopf. "Männer in Umhängen, Masken und Lederhandschuhen, die in der Bibliothek vor dem Kaminfeuer ihren Kaffee einnehmen? Gehts noch da unten?" Aus den Kellergeschoßen meiner Person dringt gedämpfter Protest, aber Vorworte werden nun mal im Kopf verfasst und nicht in der Unterhose. Dass es zu diesen Meinungsverschiedenheiten zwischen Körperteilen kommt, scheint mir jedenfalls ein gutes Zeichen. Der Feministische Porno-Filmpreis Europa, der im Herbst 2009 zum ersten Mal verliehen werden soll, wirbt mit den Worten: "Wir wollen zeigen, dass es scharfe, lustige und sexy frauenfreundliche Pornos gibt, die Frauen und Pärchen zusammen genießen können und ihnen das Gefühl vermitteln, mit sich und ihrer Sexualität im Einklang zu sein." Dabei ist das Interessante an Pornographie eigentlich gerade, dass sie an einvernehmlichen Pärchenvergnügen und Mit-der-Sexualität-im-Einklang-Sein rüttelt, dass sie die Interessenskonflikte von Kopf und Genitalien unübersehbar macht. ("Und dass man dabei kommt!" - "Schnauze jetzt da unten.") Das gilt nicht nur für Pornographie. Alle interessanten Unterhaltungsformen hinterlassen ihren Konsumenten ein bisschen ratloser als vorher. Und ratlos macht dieses Buch allemal, mich jedenfalls. Unerschütterliche, überlegene dominante Männer? Man wird da bei Gelegenheit noch einmal gründlich drüber nachdenken müssen.

Lies also, wissbegierige Leserin, ruhig die Geschichte der O. Aber lass es bitte nicht dabei bewenden. Und falls doch, dann ruf mich wenigstens nicht vormittags zur besten Schlafenszeit an und erkundige dich, ob es wahr ist, dass man als Sklavin niemals Unterwäsche tragen darf. Denn wenn das so weitergeht, werde ich demnächst ein Herrenhaus auf dem Lande mieten müssen, in dem man bildungsunwilligen Geschöpfen regelmäßig den Arsch versohlt, wenn sie nicht bald lernen, sich des Internets zu bedienen.