Kathrin Passig

 

Dieser Text hätte im August 2006 im Rahmen einer Titelgeschichte zum Feminismus in der ZEIT erscheinen sollen. Da ich schon mal einen abgelehnten Text über Feminismus für die taz geschrieben hatte, war ich diesmal schlauer und antwortete auf die Einladung zur Beteiligung:
"Wie Sie ja vielleicht wissen, war mein erstes Buch eins zum Thema Sadomasochismus, und die in diesem Zusammenhang wichtige Frauen-Pornographie-Debatte ist eigentlich mein einziger Berührungspunkt mit feministischen Themen. Wenn es also halbwegs in Ihr Konzept passt und Sie persönlich nicht stört, würde ich gern ein bisschen den rückständigen Frauen-Porno-Diskurs verteufeln, insbesondere die verschiedenen Inkarnationen des 'Frauenbündnis gegen Pornographie' und die Versuche, erwachsene Frauen vor Pornographie zu 'schützen'. Ich kann aber gut verstehen, wenn Sie dieses Fass nicht aufmachen wollen."
Die zuständige Redakteurin schrieb darauf: "Liebe Frau Passig, kein Problem. Schöne Grüße und bis nächste Woche!"
Als der Text fertig war, hieß es dann aber doch: "Eigentlich wollte sich unser Ressortleiter bei Ihnen gemeldet haben - leider ist ihr Text nun doch aus der endgültigen Mischung herausgefallen. Es lag wohl daran, dass er doch zu kritisch mit dem Feminismus als solchem umging, und, nun ja, eher postfeministisch daherkam, was sich wohl doch zu sehr mit der Titelzeile und den anderen Beiträgen gebissen hat."

Als Emma 1987 mit dem ersten "Frauenbündnis gegen Pornographie" versuchte, Catherine MacKinnons Gesetzentwurf für eine rechtliche Neudefinition von Pornographie in Deutschland durchzusetzen, interessierte ich mich noch nicht für solche Bestrebungen. Da ich minderjährig war, war mein Pornographiekonsum - wo er nicht aus dem Betrachten katholischer Märtyrerbildchen bestand - ohnehin illegal. Zur Zeit der Wiederauflage dieses Frauenbündnisses, 1998 unter Christine Bergmann, Rita Süssmuth, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Andrea Fischer und anderen, hatte dann aber sogar ich gemerkt, dass man in Deutschland auch als volljährige Frau mitnichten Pornographie konsumieren oder produzieren durfte, wie man lustig war. Erbost stampfte ich mit dem Fuß auf und verkündete, dass ich diesmal noch ein Auge zudrücken, bei der dritten Wiederauferstehung dieser Idee aber sofort ein "Frauenbündnis für Pornographie" ins Leben rufen wolle. Zum Glück war der zweiten Initiative nicht mehr Erfolg beschieden als der ersten, aber die Zeit meines Lebens von Feministinnen bestimmte deutsche Sexualpolitik hat dazu geführt, dass ich mich bisher mit dem Feminismus nicht so recht anfreunden konnte. Das deutsche Staatswesen ist ein in vieler Hinsicht gut und vernünftig eingerichtetes; umso unangenehmer fällt auf, wie aufdringlich man sich in diesen von Frauen dominierten Bereichen unter dem Vorwand des Jugendschutzes und der zu schützenden Würde der Frau in das Privatleben erwachsener Menschen einmischt.

Schon in den Anfangszeiten des Feminismus ging es um sexuelle Selbstbestimmung, ohne dass diese Forderungen damals eine so grundsätzliche Sexualfeindlichkeit mit sich gebracht hätten, wie sie in Deutschland seit Mitte der siebziger Jahre zu beobachten ist. Es scheint sich also bei diesem Misstrauen allem sexuellen Interesse gegenüber nicht um eine unvermeidliche Begleiterscheinung feministischer Politik zu handeln. Vermutlich ist es vielmehr so, dass die US-amerikanische Allianz aus altem Puritanismus und neuem Konservatismus den deutschen Feminismus entscheidend geprägt hat und heute, da die Feministinnen von damals an den Hebeln der Macht angelangt sind, zu einer Erosion der in den frühen 70ern erstrittenen sexuellen Freiheit geführt hat.

In den USA, wo in den ersten zehn Jahren des Internets eine breite Vielfalt pornographischer Angebote gehostet wurden, geben derzeit immer mehr Anbieter ganz auf oder verlagern ihre Server nach Russland. Europa ist keine Alternative, denn hier sieht es eher noch düsterer aus. In Deutschland sind Zeitschriften wie Internetangebote einer existenzbedrohend unsicheren Rechtslage und komplexen inhaltlichen Einschränkungen ausgesetzt, die sich nur noch von Zensurfachleuten ausdeuten lassen. Die Lage hat sich insbesondere durch die Arbeit der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien und der höchst intransparenten Einrichtung jugendschutz.net in den letzten Jahren weiter verschlechtert. Natürlich betreffen diese Probleme langweilige, billige und austauschbare Angebote - aber eben im gleichen Ausmaß auch die bessere, interessantere Pornographie, wie sie insbesondere von Frauen gern gefordert wird. Die Nachfrage ist da, aber das Angebot wird sich nicht von allein einstellen, solange gesicherte Produktionsbedingungen fehlen.

Auch der aktuelle Stand der Prostitutionsdebatte lässt feministische Politik nicht gerade als Betätigungsfeld der Vernunft erscheinen. Die Zahlen und Schreckensvisionen der Anti-Zwangsprostitutionskampagne des Deutschen Frauenrats anlässlich der Fußball-WM erwiesen sich als komplett aus der Luft gegriffen. Auf der Website des Frauenrats heißt es dennoch unbeirrt: "Die Bilanz zur Kampagne 'abpfiff' fällt positiv aus." Der Deutsche Frauenrat sei froh, dass der erwartete Anstieg von Zwangsprostitution ausgebelieben sei. Einerseits ist das nicht unwitzig und erinnert an den Mann, der in seinem Vorgarten ein Pulver gegen Elefanten ausstreut. Auf den Einwand, es gebe hier doch gar keine Elefanten, entgegnet er: "Sehen Sie, es wirkt schon!" Andererseits hat die Kampagne - so der Bundesverband Sexuelle Dienstleistungen - eine repressive Welle in der Politik losgetreten, die vorher so nicht möglich gewesen wäre. Inzwischen wird auch in Deutschland das schwedische Modell einer Kriminalisierung von Freiern ernsthaft diskutiert: wenn Prostituierte Opfer sind, muss schließlich irgendwer der Täter sein und bestraft werden.

Wenn ich mir vom Feminismus etwas wünschen dürfte, dann wäre es das: Irgendwann würde ich gern in einem Land leben, in dem die Rechte volljähriger Bürger, die Veröffentlichungsfreiheit und die Rechtssicherheit von Medienproduzenten nicht zugunsten des hilflosen Versuchs beschnitten würden, Jugendliche und - im Fall der "gewaltverherrlichenden Medien" - sogar Erwachsene durch Zensurmaßnahmen vor bestimmten Medieninhalten zu schützen. So lange in Deutschland keine chinesischen Verhältnisse einkehren, sind diese Bestrebungen in den Zeiten des Internets ohnehin zum Scheitern verurteilt; der angerichtete Flurschaden steht in keinem Verhältnis zum zweifelhaften Erfolg. Ich würde mir wünschen, dass das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung auch da ernst genommen wird, wo es um weniger kuschelige Themen wie harte Pornographie und Sexarbeit geht. Ich möchte in einem Land leben, in dem das feministische Leitbild nicht die Frau als Opfer, sondern die rational handelnde, erwachsene Frau ist. Und es wäre schön, wenn dieser Zustand einträte, bevor ich in ein Alter komme, in dem sich mein Sexualleben auf das wehmütige Betrachten des Hinterteils meines Zivildienstleistenden beschränkt. Sobald der Feminismus das zustandebringt, werde ich mich Feministin nennen und vielleicht sogar aufhören, mich über die Gender Studies lustig zu machen. Heute, wie die Post mir zu schreiben pflegt, jedoch nicht.